»Das ist Stonefield?«, fragte Samanta und konnte nicht verhindern, dass man pures Erstaunen aus ihrer Stimme heraushörte.
»Ja, das ist es«, bestätigte Gorden und hielt rechts in einer kleinen Parkbucht an. Die Häuser standen an der Straße aufgereiht wie an einer Perlenkette. Die Kirche befand sich auf einer kleinen Anhöhe und etwas entfernt konnte man erahnen, dass die Küste am Horizont steil ins Meer abfiel.
»Oh Gott!«, entfuhr es Sam.
»Ich sagte ja, dass es hier nichts gibt«, meinte Gorden und sah zu Sam hinüber. »Wo genau müssen Sie denn hin? Ich meine, gibt es eine Adresse?«
»Es soll eine alte Töpferei geben«, stammelte Sam.
»The old Pottery? Ja, die kenne ich. Liegt noch etwas mehr zur Küste hin«, sagte Gorden und startete den Motor. Er lenkte den Wagen nun in Richtung Horizont. Sam glaubte nicht, dass es dort noch irgendetwas geben konnte, was bewohnbar war.
Nach wenigen Minuten tauchte, nachdem sie einen Hügel umrundet hatten, ein mächtiges Herrenhaus auf. Es stand auf einmal mitten im Gelände. Der Garten war sehr gepflegt und das Haus wirkte imposant und einladend.
»Das ist es nicht«, bemerkte Gorden, als er sah, wie Sam das Gebäude musterte.
»Habe ich auch nicht erwartet. Aber schön ist das schon«, entgegnete sie. »Wer wohnt denn hier?«
»Da wohnt der Landlord von Stonefield.«
»Landlord?«
»Na ja, dem gehört der meiste Grund und Boden hier«, erklärte Gorden und verschaltete sich wieder unter heftigem Fluchen. Sam sah nun auch eine kleine Kapelle, die links neben dem Haupthaus auftauchte. Man konnte dort auch einige sicher sehr alte Grabsteine ausmachen. Dann machte die Straße einen scharfen Bogen und führte nur wenige Meter an der Küste entlang, wo schließlich die alte Töpferei stand. Dieses Gebäude befand sich in Sichtweite zu dem großen gepflegten Anwesen, das sie soeben passiert hatten. Sam starrte aus der Windschutzscheibe, denn der Rover stand direkt vor der ehemaligen Töpferei.
Sie blickte auf ein Haus, das sich tief in die Landschaft duckte. Es war sehr groß, aber nur eingeschossig. Der längliche Bau war schon mit Dachziegeln gedeckt. Sam hätte es nicht verwundert, wenn auf diesem Dach noch Stroh gelegen hätte.
Die Front, vor der sie jetzt geparkt hatten, zierte unzählige kleine Fenster. Es gab eine hellblau angestrichene Tür, neben der eine ebenso gestrichene Bank stand. Der ehemalige Garten war total verwildert. Man konnte aber noch erkennen, dass hier jemand versucht hatte, Ordnung herzustellen. An manchen Stellen wucherte das Unkraut nicht ganz so hoch.
»Du liebe Güte!«, seufzte Sam. Sie begriff, dass Davie sicher nicht nur wegen dieses Hauses immer wieder hierhergekommen war. Da musste es noch etwas anderes geben. In Davies Fall war das bestimmt dieser Reed.
Sam stieg nun langsam aus dem Fahrzeug aus und wurde sofort von einer heftigen Windböe begrüßt. Die Luft roch nach Meer.
»Was zum Henker wollen Sie hier?«, fragte Gorden, nachdem auch er aus dem Fahrzeug ausgestiegen war.
»Das gehört der Freundin, die ich pflege«, erklärte Sam und raffte den Kragen ihres Mantels am Hals eng zusammen. »Ich habe ihr versprochen, nach dem Rechten zu sehen.«
»Dann haben Sie also den Schlüssel?«
»Natürlich!« Sam kramte in ihren Manteltaschen, bis sie schließlich das kalte Metall des Schlüssels in ihren Händen fühlte. Gorden hatte inzwischen den Koffer und das Lebensmittelpaket aus dem Wagen ausgeladen und auf der Bank neben der Tür abgestellt. Jetzt sah er Sam fragend an.
»Werden Sie denn zurechtkommen?«, fragte er, als Sam nicht reagierte. Sie versuchte Optimismus auszustrahlen und nickte:
»Sicherlich! Wenn was sein sollte, kann ich ja zu diesem Herrenhaus hinübergehen.«
»Gut, dann – dann lasse ich Sie jetzt allein«, meinte Gorden, machte aber keine Anstalten, sich zu entfernen.
»Wirklich Gorden! Ich komme klar. Vielen Dank und bitte sagen Sie mir, was ich Ihnen schulde!«, entgegnete Sam, da sie glaubte, er zögere wegen einer fälligen Bezahlung.
»Oh nein, nein! Sie schulden mir nichts. Ich wollte nur sichergehen, dass Ihr Schlüssel auch wirklich passt!«, wehrte Gorden ab.
Peinlich berührt steckte Sam nun den Schlüssel in das alte verwitterte Schloss der Haustür und drehte ihn herum.
»Er passt!«, bestätigte sie. Gorden nickte und stieg in den Rover ein. Bevor er die Fahrertür schloss, rief er Sam noch zu: »Rufen Sie an, wenn Sie etwas brauchen. Die Nummer steht auf dem Karton mit den Lebensmitteln.«
»Danke, das werde ich tun!« Sam winkte dem Mann noch hinterher, ehe sie die Tür des Hauses endgültig öffnete.
Ein muffiger Geruch schlug ihr entgegen. Das hatte sie auch erwartet, denn hier hatte seit Davies Tod niemand mehr gelüftet. Die Fensterläden schlossen ziemlich dicht ab. Auch wenn die kleinen Fenster alt waren, so waren sie doch noch hervorragend in Schuss. Bevor Sam sich umsah, stieß sie in zwei Räumen zunächst die Fensterläden auf und öffnete die Fenster, um frische Luft hereinzulassen.
Es war kalt in den Räumen und Sam erkannte, dass sie einen großen Kamin einheizen musste, um es warm zu haben. Gott sei Dank lag neben diesem Kamin ein Berg Holz, das sicher über die nächsten Tage reichen würde. Sam sah sich nun um. Sie stand in einem Wohnraum, der von wuchtigen blumengemusterten Polstermöbeln dominiert wurde. So kitschig wie diese auch wirkten, so viel Gemütlichkeit strahlten sie aus. Die Übergardinen an den Fenstern waren aus genau demselben Stoff gefertigt und Sam fühlte sich förmlich erschlagen in all dieser Blütenpracht. Es gab noch ein kleines Sideboard, auf dem eine Flasche mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit und zwei Gläser standen. An der den Fenstern gegenüberliegenden Wand gab es einen Fernseher und einen Schrank, der mit unzähligen Keramikfigürchen ausgestattet war. Vermutlich waren das die Reste der ehemaligen Töpferei, so dachte Sam. Es gab einen altertümlichen Lichtschalter und als sie diesen betätigte, erstrahlte an der Decke des Raumes ein superkitschiger kleiner Kronleuchter. Aber er passte zur ganzen Einrichtung dieses Zimmers.
Sam dachte kurz an ihre Mutter, die diesen ganzen Glamour sicher todschick gefunden hätte. In diesem Raum nahm Sam einen Hauch von Lavendelduft wahr. Als sie durch die angrenzende Tür trat, wurde der Geruch intensiver. Sie stand nun im Schlafzimmer. Hier war es genauso bunt gemustert wie im Wohnraum nebenan. Sam war sich sicher, dass Davie niemals in diesem wuchtigen Himmelbett geschlafen hatte. Das war ganz und gar nicht sein Stil!
Es gab außerdem einen Kleiderschrank, in dem einiges an Bett- und Tischwäsche gelagert war. Weiter aber gab es nichts zu sehen. Sam ging nun in die Küche, die gegenüber dem Wohnzimmer lag. Auch hier beherrschte das …
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